Das ist eine höchst spannende Geschichte. Mal angenommen, Ihr seid nach einem langwierigen Kennenlern-Prozess in der glücklichen Lage, dass mehrere Menschen in Frage kommen, in die Gemeinschaft aufgenommen zu werden. In Frage kommen bedeutet: Eure Gruppe kann sich alle als zukünftige Nachbarn gut vorstellen, es gibt keine Argumente, die gravierend gegen einzelne Parteien sprechen. Im Gegenteil: Alle bringen Eigenschaften und Kompetenzen mit, die in der Gruppe willkommen sind, und sie sind sympathisch und zugewandt - kurzum: Ihr könnt euch nicht entscheiden.
Was tun? Na, ist doch ganz klar - dann entscheidet das Los. Die Antwort erhalte ich, wenn ich Unbeteiligten die Geschichte erzähle. Aber ganz so einfach ist das dann doch nicht. Dann auch wenn man sich alle als zukünftige Nachbarn vorstellen kann - vielleicht hätte ich dann doch den Interessenten A ein klein wenig lieber als Interessentin B? Oder: B kennt sich mit Verwaltungsaufgaben gut aus, das wäre praktisch. Andererseits: A ist handwerklich gut unterwegs, auch nicht schlecht. Aber was wiegt schwerer?
Warum Kriterien nur bedingt helfen
Andererseits: A hat in seinem Leben noch nie in einer Wohngemeinschaft gelebt - B schon. Dafür hat sich A ziemlich aktiv in einem Verein engagiert. Hätten wir doch vorher noch klarer unsere Anforderungskriterien definiert. Tja hätte uns das geholfen?
Ich glaube nicht. Sicher, Kriterien wie Wohnungsgröße, Paar oder Alleinerziehende, Ältere oder Jüngere usw. lassen sich relativ gut benennen und am Ende auch "überprüfen" - aber wenn es um die persönlichen Kompetenzen, Fähigkeiten und Eigenschaften geht oder gar noch solche Dinge wie Sympathie, da helfen auch noch so fein justierte Kriterien wenig. Weil sich solche Dinge nun mal nicht zuverlässig "messen" lassen. Mehr noch: Wenn viele mitreden können und sollen, dann gibt es auch viele Perspektiven und die unterschiedlichsten Wahrnehmungen.
So bleibt am Schluss die Frage: Hat jemand gegen Kandidat A einen schwerwiegenden Einwand? Gegen Kandidat B? Ist beides nicht der Fall, stehen wir erneut vor der Frage: Und nun?
Dann kommt wieder der Vorschlag mit dem Losentscheid. Aber der Widerstand ist groß: "Wir werden doch wohl in der Lage sein, eine Entscheidung zu treffen. Welch Armutszeugnis, so etwas Wichtiges dem Los zu überlassen!" Ist es das?
Entscheidung per Mehrheit?
Nehmen wir mal an, wir entscheiden uns für die demokratische Variante. Oder besser: Den Mehrheitsentscheid. Von 28 Anwesenden entscheiden sich schließlich elf für A und neun für B und acht enthalten sich - ist das dann ein "guter" Prozess?
Zum einen: Da nicht alle Mitbewohner bei dem entscheidenden Treffen anwesend sind, wir eine "Briefwahl" aber nicht zulassen, da die potenziellen Briefwähler die Diskussion ja nicht mitbekommen haben, hätte diese demokratische Wahl u.U. mit anderen Teilnehmern ganz anders ausgehen können - ob zum Besseren oder Schlechteren für die Gruppe sei mal dahin gestellt.
Zum anderen: Ist eine solch knappe Mehrheit tatsächlich aussagekräftig? Kann es nicht sein, dass die neun "Unterlegenen" deutlich stärkere Gefühle für ihren Kandidaten gehegt haben als die elf "Gewinner", die vielleicht lediglich einen geringen Vorteil für ihren Kandidaten gesehen haben. Spielt Gewichtung hier keine Rolle?
Und vor allem: Was sagen wir den abgelehnten Kandidaten: "Ihr habt mit 9:8 verloren. Die anderen waren uns lieber. Die anderen hatten mehr Unterstützer. Die fehlende WG-Erfahrung könnte den Ausschlag gegeben haben ... usw." Echt jetzt?
Also doch das Los. Genau so hat es sich zuletzt bei uns zugetragen. Klar, auch hier haben sich diejenigen als "Verlierer" gefühlt, die trotz der fehlenden gravierenden Einwände gegen einen Interessenten etwas lieber den anderen gehabt hätten. Aber sie haben nicht verloren, weil sie schlecht argumentiert haben. Oder weil die anderen sich durchgesetzt haben. Oder weil ihre Argumente nicht gehört wurden. Sondern weil die Münze einfach auf die andere Seite gefallen ist. Die Vorteile des Losverfahrens habe ich an anderer Stelle schon mal beschrieben (Per Zufall auf den Chefsessel).
Und die Bewerber? Die Verlierer sind enttäuscht. Aber sie wissen, sie wurden von uns nicht abgelehnt, sondern hatten einfach Pech. Wir hoffen, dass sie uns erhalten bleiben und bei der nächsten freien Wohnung immer noch Lust auf uns haben.