Die Rednerliste

Ein bekanntes Phänomen: Die Gruppe diskutiert über ein Thema, das emotional besetzt ist. Von vornherein ist klar, dass die Sache knifflig wird, weil der eine oder andere angespannt oder gar "geladen" in das Meeting geht. Keine leichte Aufgabe für den Moderator, alle Beiträge zu würdigen, darauf zu achten, dass niemand übersehen wird und dass es nicht zu hitzigen Auseinandersetzungen kommt.

Moderatoren kennen das Problem: Wie behält man den Überblick, wer etwas sagen möchte, wer auf wen gerne direkt antworten will und ob man Fragen zulässt, die sich nur allzu schnell als verkappte Gegenargumente herausstellen. Zum Beispiel so: "Ich habe dazu eine Verständnisfrage - kann ich die jetzt stellen?" - "Also ich habe verstanden, dass du dich darüber ärgerst. Aber hast nicht gerade du beim letzten Mal genau das Gleiche bemängelt und wirfst das jetzt anderen vor?"

Von Verständnisfrage keine Spur, sondern eine Attacke, die die sofortige Gegenreaktion hervorruft. Wenn der Moderator dann versucht, die Auseinandersetzung zu beenden, kann es schon zu spät sein: "Ich muss doch die Möglichkeit haben, darauf zu reagieren...!"

Es gibt ein sehr probates Mittel, das sich sehr bewährt hat, wenn es denn einmal eingeführt und zur Gewohnheit geworden ist: Die "Rednerliste".  Diese setzt erst einmal voraus, dass vor allem in größerer Runde die Regel eingeführt ist, dass sich jeder, der einen Beitrag hat, per Handzeichen meldet. Aber selbst wenn das gewohnte Praxis ist, ist der Moderator überfordert, sich zu merken, wer sich alles zu Wort gemeldet hat - vor allem dann, wenn es hitzig wird und es ganz viele zu Äußerungen drängt.

Genau dann benötigt der Moderator einen Assistenten, der sich auf einem Zettel notiert, in welcher Reihenfolge die Beiträge "angemeldet" wurden. Per Kopfnicken bestätigt er dem Teilnehmer, dass seine Meldung notiert ist und sorgt dann dafür, dass alle wie gewünscht zu Wort kommen. Der Moderator kann sich ganz auf die Inhalte konzentrieren, zwischendurch zusammenfassen, Äußerungen in einen Zusammenhang bringen, Klärungsfragen stellen und hin und wieder darum bitten, sich auf Argumente zu beschränken, die noch nicht genannt wurden.

Was dann oft passiert: Jemand hat sich gemeldet, steht aber auf der Liste der noch offenen Beiträge erst an fünfter oder sechster Stelle. Dann stellt er fest, dass sein Argument bereits von jemand anderem geäußert wird. Die Tatsache, dass er trotzdem gebeten wird, sich nun zu äußern, wenn er an der Reihe ist, verleitet am Anfang dazu, die Inhalte zu wiederholen. Meine Erfahrung zeigt aber, dass dies, je häufiger man das Verfahren anwendet, immer seltener wird und die Teilnehmer dann von sich aus einfach darauf hinweisen: "Hat sich erledigt, wurde eben von X schon erläutert."

Das eigentlich Faszinierende an dieser schlichten Vorgehensweise: Wenn sich jemand stark berührt fühlt durch einen Beitrag und sich spontan meldet, um "Dampf abzulassen", dann aber gebremst wird mit dem Hinweis: "Tut mir leid, erst sind noch vier andere an der Reihe, aber ich habe dich auf dem Zettel!", dann passiert es nicht selten, dass der Ärger schon halb verraucht ist, wenn es denn so weit ist. Und das gar nicht mal unbedingt durch die verstrichene Zeit, sondern weil die weiteren Beiträge mehr Klarheit und Verständnis gebracht haben und der "Aufreger" seine Kraft verloren hat.

Ich bin immer wieder fasziniert von der Disziplin und Geduld, die Menschen aufbringen, wenn sie erst einmal akzeptiert haben, dass es allen hilft, wenn man sich an diese einfache Regel hält. Und wie dankbar sie am Ende sind, dass diese "erzwungenen Denkpausen" ihnen geholfen haben, zu einem konstruktiven Dialog zu finden.