Budget oder Planung?

Irgendjemand im Projekt muss sich mit Anschaffungen, Instandhaltung, Reparaturen oder sonstigen Aufgaben auseinandersetzen, für die Geldmittel erforderlich sind. Und wie in allen Organisationen möchte natürlich niemand, dass sinnlos Geld ausgegeben wird. Oder das allzu leichtfertig die begrenzten Mittel eingesetzt werden, um Dinge anzuschaffen oder für Aktivitäten auszugeben, die nicht von allen gemeinsam beschlossen wurden.

Da man aber nicht jede einzelne Ausgabe immer durch die komplette Gruppe absegnen lassen kann, ist es sinnvoll, Entscheidungen an kleinere Arbeitsgruppen oder auch Einzelpersonen zu delegieren. Da wird dann schnell der Ruf nach einem Budget laut: "Wie viel können wir denn in diesem Jahr für den Garten ausgeben?" 

Das mit dem Budget ist aber so eine Sache. Da schlägt jemand vor, für den Gemeinschaftsraum neue Kaffeekannen anzuschaffen, ein zweiter findet, man solle doch gleich drei bestellen, schließlich hätte man doch noch Geld im Budget übrig. Ein interessantes Argument: Nicht etwa, dass die Erfahrung zeigt, wie schnell eine Kanne zu Bruch geht ist die Begründung (dann könnte man auch überlegen, ob die Anschaffung überhaupt sinnvoll ist), sondern die zur Verfügung stehenden Mittel.

Ein weiteres interessantes Phänomen: Wenn das neue Jahr ansteht, wird wieder nach einem Budget gefragt: Können wir wieder den gleichen Betrag ausgeben wie letztes Jahr? Oder noch schlimmer: Wir haben im letzten Jahr nicht alles ausgegeben: Können wir den Rest mit ins nächste Jahr nehmen?

Budget begrenzen die Ausgaben - auf der einen Seite. Aber sie führen auch dazu, Geld in einem Bereich auszugeben, der vielleicht in einem anderen dringend benötigt würde. Was ist dann die Alternative?

Es gibt inzwischen Unternehmen, die ohne Budgetierungsprozesse auskommen. Die zwar eine langfristige Planung erstellen, sich aber dann regelmäßig die Zahlen anschauen und dann flexibel reagieren.

Transparenz ist entscheidend

In einer kleinen Genossenschaft ist das auch problemlos möglich. Bleibt die Frage, wie dann einzelne Gruppen entscheiden, ob und wie viel Geld sie ausgeben. Hier das Vorgehen bei uns:

Wir legen einmal im Jahr fest, wie viel Geld wir für Ausgaben zur Verfügung stellen (also jenseits aller Rücklagen und Gelder, die wir z.B. für mögliche Mietausfälle vorhalten). Diese Summe ist allen bekannt. Wenn nun eine Gruppe eine Ausgabe plant, dann muss sie diese beziffern und protokollieren. Meldet niemand hiergegen Bedenken an, gilt der Beschluss und sie kann die Ausgabe tätigen. 

Natürlich gibt es eine (satzungsmäßige) Höchstgrenze für einzelne Ausgaben, jenseits derer der Vorstand zustimmen muss, und eine weitere, über die nur die Mitglieder in einer Generalversammlung entscheiden können. Alle anderen Summen sind jedoch zulässig.

Das funktioniert natürlich nur, wenn alle wissen, wie viel Geld bereits ausgegeben ist bzw. wie viel noch in dem laufenden Jahr zur Verfügung steht. Die Mitglieder, die die finanzielle Situation laufend im Blick haben (unsere Finanzgruppe), würden sich sehr schnell melden, wenn eine Kleingruppe eine Ausgabe beschließt, die den Gesamtrahmen sprengt. 

Mit anderen Worten: Im vorgegebenen Rahmen können Gruppen Entscheidungen treffen. Die Frage vor einer solchen Entscheidung lautet also stets: Ist diese Ausgabe sinnvoll, d.h. steht die Gruppe zu der Planung UND wie würde dies wohl von der Gesamtgruppe eingeschätzt? Ist man sich bei Frage 2 nicht sicher, geht man mit dem Vorschlag besser in die Großgruppe. Was bei größeren Ausgaben stets der Fall ist.

Ob es funktioniert? Bis jetzt ja. Die Kleingruppen entwickeln ein gutes Gespür dafür, was und wie viel angemessen ist. Und das sorgfältige Protokollieren der Entscheidungen gibt dem Rest der Mitglieder die Sicherheit, dass alles transparent und damit für alle zugänglich ist.

Unsere Elefanten

Vor Kurzem habe ich in einem Vortrag von einem Format erzählt, das wir in unserem Projekt vor über einem Jahr ausprobiert haben. Es stammt nicht von mir, aber ich war zumindest an seiner Entwicklung ein wenig beteiligt. Vor uns kam es schon bei der Amaryllis eG zum Einsatz, ein Projekt, mit dem wir seit vielen Jahren freundschaftlich verbunden sind.

Nach meinem Vortrag wurde ich gefragt, ob das Vorgehen irgendwo beschrieben wurde, und ich habe festgestellt, dass eine solche Beschreibung noch gar nicht vorliegt. Nun denn ...

Der Hintergrund: In jeder Gemeinschaft, und sei sie noch so klein, gibt es Themen, die nahezu allen geläufig sind, aber die "offiziell" nicht angesprochen und auf keiner Tagesordnung erscheinen - und wenn, dann verstecken sie sich hinter anderen Themen. Dabei sind sie tatsächlich enorm wirkungsvoll und mächtig - so groß, dass wir sie als unsichtbare "Elefanten im Raum" bezeichnen.

So etwas kennen wir in Familien (z.B. der Onkel, der von einem Tag auf den anderen verschwunden ist, seine Familie im Stich gelassen und sich woanders ein neues Leben aufgebaut hat, über den niemand spricht, aber der als Elefant immer mit dabei ist, wenn sich die Familie trifft), in Unternehmen (der Chef, der ein Verhältnis mit einer Kollegin hat, was für viel Gesprächsstoff und Unmut sorgt, aber über das nie jemand formell ansprechen würde), in Vereinen, in Nachbarschaften, in Freundesgruppen - und natürlich auch in  Wohnprojekten.

Den Elefanten benennen


Wenn es aber so schwer ist, über den Elefanten offen zu sprechen, ihm einen Namen zu geben - wie macht man ihn dann sichtbar? Die Idee war, dies in einem geschützten Rahmen zu tun. Und das läuft so ab:

Die Gruppe trifft sich und nimmt sich ca. 2 Stunden Zeit. Zu Beginn wird eine Minute geschwiegen, alles sammeln sich (Klangschale). Dann erklärt die Moderatorin das Vorgehen - wobei im Vorfeld schon erläutert wurde, was in dieser Runde geschehen soll, nämlich das offene Ansprechen von Elefanten!

Alle Teilnehmer erhalten einen Zettel, der bereits beschriftet ist. Zum einen mit einem kleine Elefanten, zum anderen mit einem Platzhalter für Datum und Name. Denn ein Grundsatz lautet, dass die Benennung nicht anonym erfolgt!

Jeder darf einen oder mehrere Elefanten auf seinen Zettel schreiben, das Datum dazu und seinen Namen. Dann faltet er den Zettel und legt ihn in eine vorbereitete Box. Wenn alle ihren Zettel abgegeben haben, übernimmt ein Mitglied der Gruppe das Vorlesen. Bei uns war das jemand, der noch ganz frisch war, erst vor kurzer Zeit eingezogen.

Ein Zettel nach dem anderen wird vorgelesen, allerdings OHNE Nennung des Autors. Die Idee dabei: Es soll sich ganz auf den Inhalt konzentriert werden, allen ist aber bewusst, dass am Ende alle Zettel öffentlich sind. Nach dem Vorlesen wird der Zettel an eine Pinwand gehängt - alternativ mit Wäscheklammer an eine Leine.

Danach müssen alle tief durchatmen und das Gehörte sacken lassen. Jeder kann an die Pinwand treten und noch mal nachlesen, auch den jeweiligen Autor ansprechen und Verständnisfragen klären. Diskutiert werden die Inhalte an diesem Tag nicht mehr.

Nach der Pause - vor dem nächsten Thema, falls die Elefantensuche in einen größeren Workshop eingebunden ist - werden die Zettel wieder abgehängt, gefaltet und einem Mitglied zur Aufbewahrung mitgegeben. Dann vereinbart die Gruppe einen Termin, an dem die Elefanten weiter bearbeitet werden.

Kleine Anekdote am Rande: Bei uns meinte ein neuer Nachbar, der frisch eingezogen war, beim abschließenden Feedback: "Komisch, ich bin noch nicht lange hier, aber es gab kein Thema, das ich nicht mindestens einmal gehört habe!"

Die Elefanten verarbeiten


Beim Folgetermin, an dem alle teilnehmen, die hierzu Lust haben, liegen auf dem Boden mehrere weiße Blätter mit Formaten für die weitere Bearbeitung, z.B. Bearbeitung in der Großgruppe, Bearbeitung in einer bestehenden Kleingruppe, Bearbeitung in einer eigens hierfür zu gründenden Kleingruppe, Freilassen (weil sich der Elefant schon durch die Benennung erledigt hat), Einfrieren (wenn niemand ihn im Moment behandeln möchte), im persönlichen Gespräch bei einem Spaziergang klären (mit und ohne Moderation) usw. Da gibt es sicherlich noch mehr Ideen. 

Allen ist bekannt, dass an diesem Tag keines der genannten Themen bereits bearbeitet wird, es geht lediglich darum, den Ort festzulegen, wo der Elefant aufgegriffen wird. Die Kiste wird geöffnet und gemeinsam wird Zettel für Zettel dort abgelegt, wo er hingehört. Außerdem wird festgelegt, wer dafür zuständig ist, dass der Elefant auch wirklich aufgegriffen wird, wer ihn z.B. als Thema für ein Gruppentreffen anmeldet. In der Regel der Autor selbst.



Damit endet das eigentliche "Elefanten-Format". Wobei in unserem Projekt noch ein weiterer Schritt erfolgte: Ein Mitglied bastelte einen wunderschönen Elefanten aus Sperrholz, gestrichen mit Magnetfarbe, an die nun die Elefanten gehängt wurden mit der Bitte an die "Besitzer", sie aufzugreifen und an der richtigen Stelle unterzubringen. 
Elefanten, die bereits geklärt oder sich von selbst erledigt hatten, wurden an davon fliegende Tauben gehängt und in die Freiheit entlassen.

Ein Hinweis: Die Methode setzt ein großes Vertrauen in der Gruppe voraus. Dass es funktioniert, wenn es bereits größere Konflikte und Auseinandersetzungen zwischen Mitgliedern gibt, ist kaum wahrscheinlich. Dann sollten diese sicherlich zuerst behandelt werden.

No-Shows

Den Begriff hatte ich noch nicht gehört, aber nun weiß ich, worum es geht. Man - in diesem Fall unsere Wohngruppe - bietet eine Veranstaltung an. Genauer: Ein Info-Café, wo wir bei Kaffee und Kuchen über unser Projekt erzählen, interessierten Menschen alle Fragen beantworten und sie gerne durch das Haus, den Garten, die Gemeinschaftsräume und über die Laubengänge führen.

Im Vorfeld bitten wir unsere Mitglieder um Kuchenspenden, suchen Leute, die den Raum vorbereiten, die Kaffeemaschine starten und nachher wieder alles aufräumen. Im Vorfeld bitten wir auch alle, die sich anmelden, uns Bescheid zu geben, wenn sie verhindert sind. Wir begrenzen die Zahl der Gäste immer auf ca. 20, um ein lockeres Gespräch zu ermöglichen und gemütlich an Tischen zu sitzen. Da wir häufig auch mehr Anmeldungen haben, lassen wir dann bei Absagen weitere Interessenten nachrücken.

Zumindest war das bisher der Plan. Inzwischen haben wir die Erfahrung gemacht, dass wir uns das komplizierte Verfahren ersparen können. Egal, wie vielen wir zusagen - es kommt maximal die Hälfte der angekündigten Gäste. Selbst wenn wir noch einmal an den Termin erinnern und die Menschen dann versichern, dass sie kommen - Verbindlichkeit sieht anders aus. Wir überlegen, in Zukunft einen Kostenbeitrag zu erheben.

Offenbar üblich

Machen wir irgendwas falsch? Müssten wir die Menschen mehrfach an den Termin erinnern? An Werte wie Zuverlässigkeit oder Vertrauen appellieren? Oder ist es der Lauf der Dinge: Man meldet sich zu einem Event an, der kostenlos und damit von geringem Wert ist. Vielleicht trägt man ihn sich sogar in seinen Kalender ein - aber vermutlich mit Fragezeichen. Und dann passt es irgendwie doch nicht, war vielleicht nur so eine Idee. Oder etwas anderes kommt dazwischen. Wer weiß. Auf jeden Fall erscheint man einfach nicht. No-Shows nennt sich das. Nichterscheinen.

Mir ist das Phänomen nicht unbekannt. Bei den MWonline-Webtalks haben wir mitunter weit über 100 Anmeldungen - tatsächlich anwesend sind dann erstaunlich zuverlässig 50%. Eine Art Naturgesetz. Muss man das hinnehmen?


Spaziergang in Alt-Müngersdorf


Der Verein STADTRAUM 5und4 lädt in unregelmäßigen Abständen zu Spaziergängen durch neue Baugebiete in Köln ein. Am vergangenen Sonntag war ich dabei - ein sehr interessanter Gang durch Müngersdorf. Der Schwerpunkt lag auf dem ehemalige Industriegelände zwischen Eupener und Herbesthaler Straße in Braunsfeld, das Anfang der 2000er Jahre deindustrialisiert wurde. Entstanden ist hier ein völlig neues, gehobenes Wohnquartier mit insgesamt 450 Wohneinheiten: Das Quartier "Park Linné" auf dem ehemaligen Sidol-Gelände.

Wer sich für Wohnen nach Gemeinwohl-Prinzipien begeistern kann, wird hier eher abgeschreckt. Winzige private Gärten, zum Teil hohe, abweisende Mauern und eiserne Tore, die den Zugang zu den Arealen versperren. Man wird an die "Gated Communities" erinnert - das ziemliche Gegenteil von nachbarschaftlichem Wohnen. 

Foto: Petershof

Der Spaziergang endete im "alten“ Müngersdorf in der Nähe der Kirche St. Vitalis, und zwar im Petershof, den Gewinner:innen der ersten auf Gemeinwohl ausgerichteten Konzept-Vergabe in Köln. Das, was die Menschen dort auf die Beine stellen und noch vorhaben, hat mich schwer beeindruckt. Die alte Hofanlage, die unter Denkmalschutz steht und in der Tat ein besonderes Flair hat, wird jetzt schon genutzt, um den Menschen im Ort einen Raum für Gemeinschaft zu bieten - mit Festen, Konzerten und Lesungen. Der Weg zum eigentlichen Ziel, Wohnen und Leben in nachbarschaftlichem Miteinander, ist noch weit, aber der Optimismus und die Begeisterung waren ansteckend. Danke für den schönen Nachmittag.

Gegen den Hass

Manchmal spucken die sozialen Medien dann doch etwas Wertvolles aus. In diesem Fall ist die Rede von einem Podcast mit Namen "180-Grad: Geschichten gegen den Hass".  Unbedingt zu empfehlen, und noch ein Tipp: Auch wenn nur die Folge 6 von nachbarschaftlichem Wohnen handelt, so sollte man sich doch alle Folgen anhören, am besten nacheinander und bei Folge 1 anfangen.

Ich habe den Tipp in unserer Wohngruppe (und noch unter ganz vielen anderen Menschen) verteilt und angekündigt, einen Diskussionsabend zu den Geschichten zu organisieren. Und tatsächlich hat dieser Abend stattgefunden, mit relativ viel Rotwein, Kürbisuppe und selbst gebackenem Brot. Wir waren eine kleine Gruppe, und wir erlebten - nicht zum ersten Mal - die eine oder andere Überraschung. 

Aber erst einmal zum Podcast. Es geht darin um Menschen, die sich hassen. Oder zumindest große Vorurteile gegeneinander oder gegen bestimmte Gruppen hegen und pflegen. Da ist von Flüchtlingen, Islamisten, Roma, Nazis, Punks, "Kanacken", Schwulen und anderen die Rede, und das Besondere: In allen Geschichten treffen sie aufeinander. Mehr noch: Sie werden praktisch gezwungen, zumindest einen Teil ihres Lebens miteinander zu verbringen, aus den unterschiedlichsten Gründen. 

Der Autor und Erzähler Bastian Berbner (der auch ein gleichnamiges Buch mit weiteren Geschichten veröffentlich hat) hat diese Menschen getroffen und erzählt in dem Podcast einer Kollegin, welche Erfahrungen sie gemacht haben. 

All das ist zum einen sehr unterhaltsam. Es ist aber auch erschütternd, auf jeden Fall sehr berührend und macht doch arg nachdenklich. Die meisten von uns dürften in einer Umgebung leben, in der unsere Mitmenschen Werte und Ansichten mit uns weitestgehend teilen, und da macht auch ein Wohnprojekt keine Ausnahme. Was passiert, wenn wir plötzlich - freiwillig oder gezwungen - Menschen mit ganz anderem Hintergrund, anderen Einstellungen und Werten tagtäglich begegnen, ihnen nicht ausweichen können, uns mit ihnen arrangieren müssen?

Die Geschichten in dem Podcast zeigen, dass dann etwas mit uns geschieht - ganz automatisch. Auf jeden Fall bereichert es unser Leben, verändert unsere Sicht auf die Dinge und die Gesellschaft. Manchmal nachhaltig, manchmal auch nur selektiv. Wie gesagt: Unbedingt anhören oder lesen.

Zu unserem Abend: Wie so oft bei NaWoDo haben wir mit einer kleinen Befindlichkeitsrunde begonnen, uns vom Tag erzählt, was uns beschäftigt hat. Eine schöne Möglichkeit, Ballast abzuwerfen, loszulassen, um den Kopf frei zu bekommen. 

Wir haben zusammen gegessen und getrunken (beides spielt auch in den Geschichten von Bastian Berbner eine große Rolle). Und als wir anfingen, unsere Gedanken über das Gehörte auszutauschen, haben wir sehr persönliche Dinge voneinander erfahren. Es ist genau das passiert, was in der Kernbotschaft des Podcasts zum Ausdruck kommt: Nähe führt zu Verbundenheit, zu Vertrauen und Offenheit. Eine schöne Erfahrung.