Ämter vergeben

Ein Problem, das nahezu jeder Verein, jede Gruppe, jede Interessenvertretung hat, die so etwas wie einen Vorstand braucht. Immer, wenn es ein Amt zu vergeben gibt, besteht das Risiko, dass entweder Menschen auf die fragliche Position gelangen, die sich über solche "Titel" definieren. Oder aber, und in der Regel auch wahrscheinlicher, es hagelt Absagen, niemand erkärt sich bereit, und am Ende drängt man jemanden dazu, Hauptsache, der Posten ist endlich besetzt. Mit der Folge, dass derjenige die Aufgabe am Bein hat und so schnell nicht wieder los wird, denn nach seiner"Amtsperiode beginnt das gleiche Spiel, und wer schon mal gezeigt hat, dass er sich breitschlagen lässt, der tut sich oft schwer, konsequent "nein" zu sagen.

Nun gibt es in der Soziokratie ein Verfahren, mit dem Gruppen ihre Vertreter in höheren Kreisen benennen, und das lässt sich prima auch in Wohngruppen anwenden, auch wenn diese nicht grundsätzlich nach soziokratischen Prinzipien organisiert sind. Statt vor den anstehenden Wahlen etwa des Vorstandes einer Genossenschaft in vielen Einzelgesprächen Kandidaten zu überzeugen und auszuloten, wer es denn eventuell machen würde oder wen man lieber nicht in dieser Position hätte, trifft sich die Gruppe und sammelt Vorschläge.

So kürzlich im eigenen Projekt erlebt und immer noch völlig beeindruckt und überwältigt von dem Ergebnis. In Corona-Zeiten trafen sich weit über die Hälfte der Mitglieder zu einem Workshop per Video-Konferenz, und als erstes wurden alle gebeten, ihre Wunschkandidaten zu benennen. Diese konnten die Vorschläge nicht sofort ablehnen, sondern musste warten, bis alle Namen genannt und notiert waren. Eine Begründung, warum man jemanden in dieser Rolle gerne hätte, brauchte hier noch nicht gegeben zu werden.

Dann wurden die genannten Mitglieder gefragt, ob sie sich eine Rückmeldung zu ihrer Person bezüglich der "Amtsübernahme" anhören möchten. Jeder, der etwas sagen wollte, sollte in dieser Runde sich zu jedem Kandidaten äußern, sowohl zu Dingen, die aus seiner Sicht für die Übernahme der Aufgabe als auch dagegen sprachen. Einige Mitglieder lehnten dankend ab, weil sie von vornherein ausschlossen, in den Vorstand der Genossenschaft zu gehen. Andere sagten, sie könnten sich das auch nicht vorstellen, aber würden schon gerne wissen, wie man denn auf sie gekommen sei.

Los ging es, Rückmeldung folgte auf Rückmeldung. Und diese waren durch die Bank wertschätzend, respektvoll, verständnisvoll und nie verletzend. Wir konnten uns gegenseitig auf dem Bildschirm sehen und bekamen mit, wie gerührt und erfreut, aber auch nachdenklich alle Kandidaten reagierten. Bei so vielen Rückmeldungen (es waren neun Namen für vier Ämter) dauerte das ganze fast vier Stunden, und es war zweifellos anstrengend.

Am Ende blieben acht Personen übrig, die zum Ausdruck brachten, dass sie sich jetzt in Ruhe überlegen würden, ob sie sich zur Verfügung stellen. Vor der Veranstaltung hatten viele Zweifel, ob es überhaupt vier Kandidaten geben würde.

Meine wichtigste Erkenntnis (abgesehen davon, wie viel sinnvoller es ist, wenn Menschen von anderen vorgeschlagen werden als darauf zu warten, dass sich Teilnehmer von selbst "opfern") war, dass Feedback wunderbar funktioniert, wenn es auf eine bestimmte Herausforderung hin formuliert wird. Also es sehr schwierig ist, wenn man Menschen auffordert: Gib mir doch mal Feedback! Oder wenn man zum Beispiel Vorgesetzte auffordert: Gib deinen Mitarbeitern Feedback! Aber wenn man jemanden bittet zu sagen, ob er einem anderen eine bestimmte Aufgabe anvertrauen würde und warum, dann ergibt die Sache plötzlich Sinn. Dann habe ich eine Art Maßstab, den ich anlegen kann.

Dass so eine Runde zeitintensiv und aufwändig ist, steht außer Frage, aber der Nutzen, die erlebte Freude und auch die Nachdenklichkeit ist den Aufwand allemal Wert.