Tratschen

Der Begriff ist arg negativ besetzt, aber Tratschen ist allzu menschlich. Wir hören etwas über andere Menschen, zum Beispiel über Nachbarn. Wir sind belustigt, überrascht, vor den Kopf geschlagen, fassungslos, entsetzt, verärgert - und muss mit jemandem darüber reden. "Hast du gehört, dass...?" Der andere nickt oder schüttelt den Kopf, und dann tauscht man sich aus, bringt seine eigene Perspektive ein, bewertet, be- oder verurteilt, wägt ab, relativiert ("Na wer weiß, ob das überhaupt so stimmt...").

Es scheint ein Grundbedürfnis zu sein, sich anderen mitzuteilen und sich auszutauschen. Und da sind Geschichten von anderen und über andere sicher deutlich interessanter als das letzte Fußballspiel oder gar das Wetter. 

Wenn die Geschichten eher witzig oder schlicht unterhaltend sind, passiert auch nichts weiter. Beim nächsten Mal, wenn man die betreffende Person trifft, ist es kein Problem, sie anzusprechen: "Hör mal, ich hab gehört, dass du..." Und man bekommt die Geschichte bestätigt oder auch nicht, in beiden Fällen kann man drüber lachen.

Aber was, wenn es etwas Konfliktträchtiges, Kritisches ist? Da lässt jemand seinen Hund Haufen in fremde Vorgärten legen. Ein anderer parkt unverfroren auf dem eigens angelegten Kurzzeitstellplatz. Ein Dritter erlaubt seinen Kindern, ihre Spielsachen im Gemeinschaftsgarten herumliegen zu lassen. Der Vierte hat gegrillt und offenbar kein Problem damit, dass der Gemeinschaftsgrill tagelang ungereinigt herumsteht. Und das sind noch Dinge, die zwar ärgerlich, aber noch lösbar sind.

Wie auch immer: Man redet darüber, weiß aber genau, dass es besser wäre, die betreffende Person persönlich anzusprechen. Macht man aber nicht. Warum auch? Er müsste doch selbst merken, dass es nicht in Ordnung ist. Merkt er aber anscheinend nicht. Ansprechen bedeutet auch, eventuell einen Konflikt zu riskieren, eine unangenehme Auseinandersetzung. Möchte man auch nicht. 

In einer Gemeinschaft kommen die Dinge aber dennoch irgendwann zur Sprache, spätestens bei der nächtsten Befindlichkeitsrunde im Plenum. Und dann folgt eine typische Reaktion: "Es wäre schön gewesen, wenn du mich direkt angesprochen hättest, statt mich hier vor allen an den Pranger zu stellen oder dich bei anderen zu beschweren!" 

Die Konsequenz? Überhaupt nichts mehr sagen? Geht nicht, man muss es ja los werden. Also doch direkt sich an denjenigen wenden, der meinen Unmut ausgelöst hat, wodurch auch immer. Das muss man üben und häufiger die Erfahrung machen, dass es gar nicht so schlimm wird. Dass die meisten durchaus in der Lage sind zuzuhören. 

In unserem Projekt haben wir das Thema schon oft gehabt und uns auf ein Prinzip geeinigt: "Wenn mir jemand etwas über einen Nachbarn erzählt und ich denke, es wäre gut, er sollte es mit ihm persönlich klären, dann bitte ich ihn, dass doch zu probieren." Also einfach mal nachfragen: "Hast du schon mal versucht, die Sache mit ihm zu klären?" 

Auch dieses Prinzip wird längst nicht konsequent angewendet. Aber, so scheint es, immer häufiger, und dann hat das Tratschen auch sein Gutes.